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Advent. Mein Kind ist tot. Advent. Müde vom Leben.

Advent. Mein Kind ist tot. Advent. Müde vom Leben.

Advent. Wie jedes Jahr. Ein Zeit voller Lichter, Glanz und Vorfreude. Vorfreude auf eine schöne Zeit in der Familie, der Tannenbaum geschmückt im Lichterglanz. Geschenke bringen Glanz in die Augen. Familienzeit zur Weihnachtszeit.

Doch ich will nicht sehen, diese Lichter, diesen Glanz. Ich kann nicht fühlen, kann mich nicht freuen, auf diese schönen Tage.

Advent. Mein Kind ist tot.

Meine Welt ist grau und trist. Ich habe keine Kraft sie zu erhellen. Ich bin so müde vom Leben.

Meine Gedanken schwingen unaufhörlich hin und her. Wie soll eine Mutter verstehen? Verstehen, dass ihr Kind die Löschtaste gedrückt hat. Das Kind ist nicht nur voraus gegangen. Es hat die Löschtaste gedrückt. Nichts sollte bleiben von ihrem Leben. Nichts sollte erinnern an ihre glücklichen Zeiten. Nichts an die Menschen, die sie auf ihren Wegen traf. Die Löschtaste löschte unbarmherzig alles.

 

Ich möchte so gern erzählen, von ihr und meinen Erinnerungen. Ich kann es nicht. Was soll ich erzählen? Wovon soll ich berichten? Wen soll ich damit belasten? Schweigen, tiefes Schweigen ist in mir. Doch ich will es nicht. Das Schweigen tut weh, tief in der Seele, tief in meinem Herzen. Die Tage ziehen dahin ohne Sinn. Ich bin so müde, so kraftlos. Jeder Schritt ist schwer, jede Handlung ein Kraftakt. Die große Leere frisst an mir. Sie nimmt mir das Licht. Sie nimmt mir die Freude. Traurigkeit bestimmt den Tag und den Seelenschmerz.

 

Ich habe versprochen zu leben, weiter zu leben. Trotz alle dem. Versprechen bricht man nicht. Da sind mein Mann und mein Sohn. Sie haben es nicht verdient. Ich würde ihnen unheimlich weh tun. Nein, ich muss leben. Irgendwie. Ich weiß oft nicht ob ich leben will oder nicht. Ich lebe.

Ich ließ mich impfen für meine Sehnsucht. Ich nahm das Risiko in Kauf. Wenn ich jetzt sterbe, dann ist es so. Dann wäre alles vorbei. All meine Gedanken hätten Ruh. All mein Seelenleid vorbei. Das Risiko gibt mir die Chance am Meer zu sein, in ein paar Tagen.

 

Sehnsucht nach dem Meer. Raus aus dieser Welt von Corona-Chaos. Weg von Weihnachten in Familie. Dahin wo das Meer die Asche meiner Tochter trägt. Dort am Strand laufen, mit Blick hinaus. Dorthin wo die Wellen die Urne auf den Grund setzten. Dorthin wo ich Abschied nahm. Abschied nahm von meinem Kind. Von meiner, noch so jungen Tochter Jenny. Sehnsucht nach dem Meer. Den Erzählungen der Wellen lauschen. Zu den Sternen schauen und darauf vertrauen, dass wir uns eines Tages wieder sehen.

 

 

Nein kein Weihnachten in Familie. Weil meine Gedanken mich plagen. Wem soll ich erzählen, was ich manchmal denke. Davon, dass ich eifersüchtig auf die Kinder bin. Sie leben alle noch. Doch meine Jenny ist tot. Warum kann mein Kind nicht auch leben? Diese Gedanken sind gnadenlos und schrecklich. Doch sie sind da, manchmal.

Nein, auch wenn ich es könnte, würde ich keines der Kinder, für mein Kind tauschen. Ich wünsche niemandem, meine Erfahrungen, mein Leid, zu teilen und schon gar nicht meinem Mann.

 

 

In meinen Nächten vermischen sich Erinnerungen. Ich erlebe wieder, wie mein erstes Kind stirbt. Doch im letzten Atemzug, auf meinem Arm, sieht mich Jenny an. Ich stehe da und habe mein Kind im Arm. Tot im Arm und Jenny drückt die Löschtaste. Sie schaut mich an, mit Sehnsucht in den Augen, wie auf diesem einem Foto. Dieses Foto von ihr, dass sich in meine Seele eingebrannt hat. Es ist so oft da, selbst dann, wenn ich wie jetzt, meine Gedanken aufschreibe. Ein schönes Foto, doch ich sehe ihre Not. Ich konnte nicht helfen. Ich konnte nicht für sie da sein. Sie wollte es nicht. Sie gab mir keine Chance. Sie drückte die Löschtaste und ich bleib zurück.

 

Ich habe Gott angeschrien, in meinen Gedanken. Warum lässt er mich leben und nimmt mir meine Töchter? Warum? Was soll eine Mutter auf Erden, wenn sie ihre Kinder nicht hat? Ich habe Gott verflucht. Und doch weiß ich, dass ich wieder in eine Kirche gehen muss. Dort ist mein "Zuhause". Eine Kerze anzünden für meine Kinder. Für meine toten Mädchen. Mit Maria sprechen, mein Leid teilen. Irgendwann, werde ich die Kraft dafür haben. Jetzt nicht. Ich bin so unheimlich müde und traurig.

 

Ich kann diese Welt nicht mehr ertragen. Ich will nicht mehr hinaus. Hinaus ins Licht, wo all die Weihnachtslichter Freude verbreiten. Ich bin so müde vom leben. Müde, wenn ich morgens aufstehe. Müde am Nachmittag, müde am Abend. So manchen Abend geh ich schlafen, nur damit dieser eine Tag endlich vorbei ist. Doch der nächste Tag kommt. Unerbittlich und fröhlich daher. Ich kann nicht. Ich weiß nicht wie. Ich möchte ans Meer. Dem Ort wo meine Seele frei ist. Dem Ort wo meine Seele Kraft tanken kann. Weit weg, aus dieser Welt.

Ich bete, dass Corona nicht doch noch verhindert, was ich mir so ersehne. 

 

Bald werde ich dort sein. Müde und traurig. Doch ich werde da sein. Am Meer.

 

 

 

Titel-Foto by Jens Wittenberg 

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