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Seebestattung - Abschied nehmen von meiner Tochter Jenny

Seebestattung - Abschied nehmen von meiner Tochter Jenny

Und dann war er da, der Tag an dem ich Abschied nehmen musste. Die Klinik hatte mir dafür einen Wochendurlaub bewilligt. Nun wurde ich konfrontiert. Unausweichlich. Der Tag war da und ich hoffte ich würde ihn gut überstehen.

Früh am Morgen, holten mich mein Mann und mein Sohn ab. Ich selbst hatte es entschieden, von der Klinik aus, nach Warnemünde zu fahren. Es war eine gute Entscheidung, denn ich hatte geschlafen und war ausgeruht, wenn auch unter Hochspannung. Wir hatten ein gutes Zeitpolster, so dass wir in aller Ruhe losfuhren. 

Die Fahrt war ruhig, aber anstrengend. Baustellen mit den üblichen Gerangel und ein Stau vor Warnemünde ließen unser Zeitpolster schmelzen. Am Ortseingangsschild hatten wir noch eine Stunde Zeit. Sie reichte nicht, um pünktlich am Schiff zu sein. Ein Parkhaus wies uns ab, weil wir keine Aida-Kunden war und so warteten wir in der Schlange, um auf den Parkplatz am Bahnhof zu gelangen. Die Zeit rann dahin. Mein Bruder, der sich schon am Schiff befand, teilte uns mit, dass der Kapitän schon ungehalten war und losfahren wollte. Zehn Minuten zu spät waren wir dann am Boot. "Können wir nun losfahren?" wurden wir begrüßt. Nein, wir waren immer noch nicht alle da. Mein Mann, der unser Auto parkte und mein Schwager, auch in der Warteschlange gefangen, waren noch nicht da. Das gefiel dem Kapitän nicht. "Noch fünf Minuten, dann fahren wir los. Länger kann ich nicht warten." 

 

Da kam mein Mann angehetzt. Was war das? Er hatte in der Hektik die Rosen, im Auto, liegen gelassen. Ich war fassungslos. "Dann ist das so. Wichtiger sind die Steine", hörte ich meinen Bruder sagen. Das holte mich wieder runter. Dann war das so. Trotzdem war ich traurig. 36 kunterbunte Rosen, für jedes Lebensjahr eine, würden nun nicht im Meer tanzen, über der Urne auf dem Grund. Wir fuhren ohne meinen Schwager los. Der Kapitän war nicht mehr zu halten. Die wichtigsten Personen waren anwesend. Dann ist das so, hörte ich wieder meinen Bruder sagen.

 

Auf dem Boot

Die Sonne schien besonders freundlich, zum Abschied. Kein Lüftchen wehte. Ruhig schipperte das Boot auf dem Meer dahin, bis zur Sandbank, wo die Urne herab gelassen werden sollte. Mein Bruder, seine Tochter (Jennys beste Freundin), mein Mann, mein Sohn und ich saßen neben einander auf einer Bank vor dem Führerhaus mit Blick auf die Urne. Die Glocke schlug 4 mal und der Kapitän gab mich ein Zeichen. 

 

Jetzt war ich dran. Ich wurde plötzlich ruhig und doch war ich unter Hochspannung. Ich saß hier, im Angesicht der Urne. Eine blaue Urne - blau wie das Meer, mit Goldrand - wie der Schmuck den meine Tochter trug. Ich saß hier und sprach mit meiner Tochter. Die Urne sah ich nicht mehr. Ich war beim Text und meinen Worten für mein totes Kind. Nie mehr würde ich in die Augen schauen können. Ich sprach zu ihr. Sie sollte hören, wie mich ihr Tod getroffen hatte, dass ich sie liebte, nie vergessen würde. Sie sollte hören, von meinem Schmerz, von schönen Erinnerungen und dass es schön war, dass es sie gegeben hatte. Mein Herz weinte, meine Seele schrie, doch Tränen hatte ich keine. Wie schön, dass Jenny Freundin viele Tränen hatte. Tränen heilen die Seele. Ich hatte nur den Schmerz der ungeweinten Tränen.

Mein Mann hatte sich die Rede auch mehrfach durchgelesen. Wenn ich nicht weiter konnte, wollte er weiter lesen. Dafür war ich sehr dankbar. Doch es brauchte seine Hilfe nicht. Ohne Holpern lass ich meine Herzensworte an mein Kind, bis zum letzten Wort. Gemeinsam mit meinem Mann beteten wir das Vaterunser. Ich war mir sicher, Gott hatte sie aufgenommen. Mein Kind war tot. Hatte den Weg über die Regenbogenbrücke gewählt.

 

Auch der Kapitän sprach ein paar Worte. Dann nahm er die Urne und ließ sie sanft auf den Boden des Meeres sinken. Das Meer umarmte sie mit leisem Gewisper. Es erzählte wohl Jenny gerade etwas beruhigendes bis sie auf dem Grund angekommen war. Unsere Gedenk-Steine mit einem letzten Gruß ließen wir nun ins Wasser gleiten. Sie würde bei ihr sein und ihr von unserer Trauer erzählen. Ich schaute hinab, ich war leer und wie ein Stein. Meine Seele hatte ihren Vollschutz ausgefahren. Das Boot fuhr nun einen Ehrenrunde und ja plötzlich hielt das Meer für eine Weile inne. Ganz ruhig lag es da und wiegte sanft die bunten Blütenblätter, die den Urnen-Standort kennzeichneten. Es waren viel zu wenig Blütenblätter. Ich hatte mir so sehr einen bunten Blütenteppich für mein Kind gewünscht. Dann ist das so, sprach eine Stimme in mir.

 

Mein Kind ist tot und nun lag die Urne auf dem Meeresboden. Sie saß bestimmt gerade auf einer der kleinen weißen Plusterwölkchen und schaute uns zu. Ich sehe sie nie wieder. Doch reden werde ich oft mit ihr. Immer dann, wenn ich am Meer bin, wieder einen Stein hinein werfe, am Ufer entlang gehe, wenn ich in einer Kirche für sie eine Kerze anzünde, wenn ich nachts nicht schlafen kann ...

 

Das Boot fuhr langsam zurück in den Hafen, vorbei an den zwei kleinen Leuchttürmen, die ich erst jetzt wahrnahm. Die Rosen fanden hier im Hafen, doch noch den Weg ins Meer, den Weg zu Jenny. 36 kunterbunte Rosen für mein Kind. Später saßen wir noch eine Weile gemeinsam beisammen, bevor wir ins Hotel fuhren und am nächsten Tag wieder nach Hause.

 

Schlussbemerkung

Ich habe alles richtig gemacht. Die Seebestattung war ein wundervoller Abschied. Mich hat das Meer getragen und so dafür gesorgt, dass ich diese Bestattung in guter Erinnerung haben werde. Ich war ganz nah bei meinem Kind. Ich musste nicht einen Sarg im schwarzen Loch suchen, wie bei der Beerdigung meines ersten Kindes. Noch heute quälen mich die Bilder von dieser Beerdigung. Die unendliche blöde Trauerrede, von einem Mann der sich kurz fassen sollte, aber endlos Floskeln von sich gab. Keine Grabpfleger, die sofort das große schwarze Loch zu schippten und keine Verwandtschaft die sich nicht benehmen konnte. Nein, so etwas wollte und konnte ich nicht noch mal erleben.

Die Seebestattung, war ein Abschied mit Wärme, Meergeflüster und Liebe. Ich bin dankbar, für diesen Abschied. Auch dankbar, dass respektvolle Menschen an meiner Seite waren, die mit mir trauerten. So möchte ich auch einmal bestattet werden. Ganz sicher.

Ein Rosenteppich im Hafen von Warnemünde

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