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Raum der Stille - und Gott sprach zu mir ... und ich schenke dir das Leben ...

... und ich schenke dir das Leben ...

In meinem Klinikaufenthalt, stand ich irgendwann im Raum der Stille. Nein, das war nicht wirklich ein schöner Raum, aber das Kirchenfenster mit dem Kreuz darunter versöhnte mich. Ich konnte da sitzen und mein Zwiegespräch mit Gott halten, dass darin bestand, ihm Vorwürfe zu machen.

Dann ging ich wieder, um wieder zu kommen. Ich rief die Krankenhaus-Seelsorgerin an und vereinbarte einen Termin mit ihr. Ich brauchte einfach jemanden der mir zuhörte und verstand.

 

Vor Beginn meines Gesprächs mit der Seelsorgerin stand ich frühzeitig im Raum der Stille. Ich stand da und wusste nicht was ich hier wollte und doch fühlte ich, dass ich am richtigen Ort war.

Ich legte einen Trauerstein, vor das Kreuz. Dabei viel mein Blick auf die Bibel, die komischer Weise, heute, geschlossen da lag.

Ich öffnete sie, um darin zu lesen. Einfach so, ohne jedes Ziel.

Ein Bild gefiel mir und so las ich auf der Seite. Es war die Geschichte von Baruch. Genau wie ich, stand er klagend vor Gott. Ich las die Klage Baruch und die Antwort von Gott. Gott sprach gerade zu mir, denn wieso war es genau diese Seite, die ich las. Gott sprach zu mir: ... ich ich schenke dir das Leben, auf all deinen Wegen.

 

Ja, ich stand hier und klagte. Ja, ich lebte. Noch wusste ich nicht ob ich leben wollte oder doch nicht. Ja, ich hatte es versprochen. Ich hatte versprochen weiter zu leben, irgendwie. Doch wollte ich das wirklich. Was sollte ich mit dem Leben, wenn Gott mir meine Kinder nahm? Wie sollte ich denn leben, ohne meine Kinder. Warum nahm er mir meine beiden Mädchen? Der Himmel hat doch genug Engel. Hatte er auch Jenny aufgenommen, zu ihrer Schwester gelassen, trotz Suizid? War die Seebestattung eine richtige Entscheidung.

 

 

Die Seelsorgerin hörte sich ruhig all meine Worte an. Sie war überrascht, als ich ihr von den Bibelzeilen und von anderen Begebenheiten, die ich in Kirchen erlebt hatte. Sie sagte: Gott nimmt alle Kinder auf, egal wie sie gestorben sind. Er ist barmherzig. Sie sind ganz nah bei ihm. Sie hören und fühlen ihn, erkennen seine Zeichen. Sie sind ein ganz besonderer Mensch. Schauen sie, hinter ihnen hängt ein Kunstwerk (blaues Meer, mit hellem Kreis in der Mitte). Sie übergeben die Urne dem Meer und damit übergeben sie ihre Tochter Gott. Gott ist das Licht, Gott ist das Meer. Ihr Herz hat ihnen gesagt, was richtig ist.

 

Mein Herz schrie vor Verzweiflung laut und schrill. Ja, es war eine gute Entscheidung für die Seebestattung. Doch ich wollte sie nicht an Gott übergeben. Ich wollte das mein Kind lebt. Doch sie war tot. Tot.

Auch wenn ich meine Vorwürfe noch nicht begraben konnte, war ich nach der Stunde Gespräch innerlich wesentlich ruhiger. Es war gerade etwas leichter, damit zu leben, dass mein Kind tot war. Ich war mir bewusst geworden, dass der Tag der Seebestattung kommen würde. Ich war mir sicher, dass es ein guter Abschied werden würde. Ich die Kraft haben würde, diesen Tag zu überstehen. Gott, das Meer, Warnemünde als Sehnsuchtsort, würden mich tragen.

An diesem Tag, malte ich kein Kreuz. Ich malte diese Bibelseite und schrieb den, für mich so wichtigen Satz dazu. Es sollte mich erinnern, wenn ich wieder einmal zweifelte. Wohin ich gehen würde, ich würde leben.

Irgendwie. Weiterleben. Trotz alledem.

 

Nun wusste ich auch, das die Trauerrede niemand halten konnte, der mein Kind nicht kannte. Kein Trauerredner, kein Kapitän und auch kein Pfarrer.

Niemand sollte irgend welche Floskeln, tausend mal vorgelesene Worte, verlesen. 

 

Die Trauerrede würde ich selbst schreiben und lesen. Ich würde stark genug dafür sein. An diesem Abend schrieb ich die Trauerrede. Ich brauchte nicht zu überlegen. Die Worte waren alle da, tief in meiner Seele und ich schrieb nur auf, was meine Seele diktierte. 

Ich las sie mehrmals, doch ich konnte und wollte nichts verändern. Das waren meine Seelengedanken. Zum ersten Mal in meinem Leben, würde ich laut, vor anderen Menschen, beten. Das Vaterunser würde mein Abschluss sein. Gott war bei mir.

Ich las die Trauerrede der Seelsorgerin vor, die tief beeindruckt da saß, ganz still mit Tränen in den Augen. Sie nahm mich in den Arm (trotzt Corona-Verbot), sie sind ein ganz besonderer Mensch, mit ihnen spricht Gott. Danke für ihr vertrauen, mich teilhaben zu lassen.

Ja, ich hatte eine Trauerrede geschrieben, die mir selbst gut tat. Sie konnte nicht falsch sein, weil sie aus meiner Seele kam, aus meinem Herzen.

 

Nachsatz:

Ich habe diese Trauerrede unverändert, am Tag der Seebestattung vorgelesen. Sie hat mich gehalten. Es war ein schöner Abschied. Ich lebe weiter. Irgendwie.

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