· 

Kerzenlicht der Trauer

Kerzenlicht der Trauer

Liebe Jenny,

neulich, in Erinnerungen kramend, auf der Suche nach dem Warum, fand ich ein paar wundervolle Fotos. Sie zeigten dich jung und frech, so herrlich fröhlich an meiner Seite. Fotos aus längst vergangenen Zeiten. 

Da war unsere Welt noch in Ordnung, glaube ich heute. Erst später irgendwann gingst du deine Wege ohne mich. All die Jahre glaubte ich fest an dich und daran, dass wir wieder zusammen finden würden. Weil du älter, erfahrener geworden warst, besser verstehen würdest und wir uns einfach akzeptieren konnten. Dazu kam es leider nie mehr. Ich hatte keine Chance. In dir wuschs eine Pflanze der Wut, des Zorns und der Verurteilung.

Es gab Menschen, die deine Denkweisen noch unterstützten, sie förderten. Es gab niemanden der versuchte Licht in diesen Tunnel zu bringen. Leider.

Nun bist du tot und ich lebe mit all dem Wissen und meinem Schmerz. Ich sehe diese Fotos an und frage mich noch immer nach dem Warum.

Du bist voraus gegangen und irgendwann mache ich mich auf den Weg zu dir. Ich bin mir sicher, dass ich dich finden werde und wir uns liebevoll umarmen werden. Du bist jetzt dort oben und kannst all die Wege, die Begebenheiten in unserem Leben sehen und verstehen. Daran glaube ich.

Du hast deine Entscheidung getroffen. Hast dein Leben für deine Hinterbliebenen gelöscht. Nichts sollte ich wissen, was dein Leben betraf. Ich fand einen völlig leeren Laptop und ein Handy ohne Karte und Kartenhalter, völlig clean.

Kein Foto sollte ich finden, dass dich glücklich zeigte. Keine Telefonnummern von Freunden oder Verwandten, um diese informieren zu können. Hätte sie dich nicht in der Wohnung tot gefunden, hätte nichts darauf gedeutet, dass du in ihr gelebt hast. Nichts. Es gab dich einfach nicht mehr. So als wärst du nie da gewesen. Grausame Realität, noch immer.

 

Doch liebe Jenny, du hast es nicht geschafft dich völlig zu löschen. Du bist in meinen Erinnerungen. Ich sehe dich fröhlich lachend, ich sehe dich am Strand in Dänemark, Silvester in Dresden. Ich sehe dich und ich hoffe ich kann diese fröhlichen Bilder noch lange sehen. Sie sind in mir. So wie du in mir bist. Tief in meinem Herzen. Ich weiß von deinen Cousinen, dass die Erinnerungen an dich leben, sie dich in ihren Herzen tragen. Sie vermissen dich genau so wie ich.

Noch immer stoße ich auf eine Wand des Schweigens. Ein Schweigen, dass mir weh tut. Von Menschen die dich kannten. Von Menschen die meine Schwester ungefragt, von deinem Tod, informierte. Auf meine Nachricht wurde nicht einmal reagiert. Auch auf Nachfrage konnte ich keine Telefonnummer oder Adresse von deinem Vater erhalten. Deine Oma hat mich knall hart "wissen wir schon" abblitzen lassen. Ich hätte  es deinem Vater und deiner Cousine M. gern selbst gesagt und gefragt ob es irgendwas gibt, dass ich ihnen hätte geben können. Aber so muss ich damit leben, dass diese Menschen mich verurteilen, für was auch immer.

 

Ich trage sehr schwer daran, das du mich zur Monster - Mutter hast werden lassen. Ich denke viel darüber nach. Vor allem steht da immer wieder die Frage warum. Heute im Rückblick glaube ich, dass du mich vermisst hast und je mehr diese Gedanken in dir wuchsen, je mehr hast du mich abgelehnt. Ich glaube, du wolltest wieder Kontakt, doch du konntest es nicht. Vielleicht hattest du Angst ich würde dich abweisen oder dir mit Vorwürfen begegnen. Vielleicht. Vielleicht hat deine psychische Beeinträchtigung, die immer stärker wurde, auch deinen Hass gegen mich verstärkt. Vielleicht. Vielleicht konntest du nicht damit umgehen, dass ich meine Wege gegangen bin.

 

Nein, ich konnte nicht das Leben führen, welches du dir gewünscht hättest. Ich war 45 Jahre alt, ihr Kinder wart erwachsen und habt euer Leben geführt wie ihr es wolltet. Warum durfte ich es nicht? Zwei Entscheidungen die ich damals traf, meine heimliche Hochzeit mit M. und Oma sein (für die Enkelkinder von M.), hast du mir nicht verzeihen können und deine Worte von damals klingen noch immer hart in meinen Ohren. Ich habe diese Entscheidungen bis heute nicht bereut. Ich würde sie wieder so treffen. Sie hatten keinen Einfluss auf meine Liebe zu dir oder deinem Bruder. 

 

Wir waren beide erwachsen und wollten beide endlich glücklich sein. Ich habe immer zu dir gestanden, auch wenn das manchmal schwer war. Du hattest in den Jahren Freunde an deiner Seite, die dir überhaupt nicht gut getan haben. Doch es war dein Leben und ich habe mich nicht eingemischt und akzeptiert wie es war. Wenn es dann zum Bruch kam, war ich für dich da, gab dir Halt und neuen Mut, habe dich bestärkt. Erinnerst du dich? Vielleicht.

 

Ich kann nichts dafür, dass deine Lebenswege immer wieder ins "Nichts" führten, dass du nie ankommen konntest, dass du dir keine professionelle Hilfe gesucht hast. Auch wenn ich mich schuldig fühle, bin ich nicht verantwortlich dafür. Es waren deine Entscheidungen, immer.

Du hättest überhaupt nicht zugelassen, dass ich sie beeinflusse. Nein, ich habe dir nie Steine in den Weg gelegt. Du warst meine Prinzessin, immer. Ich habe deine Entscheidungen stets akzeptiert, viele deine Wünsche erfüllt. Ich habe so oft zurück gesteckt, wie es Mütter nun mal machen, wenn sich Kinder etwas wünschen. Aber es war schwer, sehr schwer, dir zu folgen. Ich wusste manchmal gar nicht mehr, was ich dir erzählen konnte, ohne dass du sauer auf mich warst. Ja, es hat mich sehr belastet und es hat weh getan.

All die Freuden die ich erleben durfte, haben doch meine Liebe zu dir nicht geschmälert. Mein neues Leben hat dir nichts weg genommen. Die Kinder und Enkel von M. waren für dich doch keine Gefahr. Aber genau das hast du  gefühlt, glaube ich. Darüber hast du mit niemandem gesprochen und diese Gedanken sind dir gefolgt und sie sind immer stärker geworden. Mein neues Leben war für dich ein Verlust. Ein Verlust den es nicht gab, den du aber so gefühlt hast, denke ich heute. Ich habe mir so oft gewünscht, dass du bei den Familienfeiern auch dabei bist. Das wäre so toll gewesen, aber immer ein Traum.

Vielleicht sind meine Gedanken alle falsch. 

Mein Herz ist so schwer und ich suche nur Antworten. Wo war mein Fehler? Wo hätte ich etwas ändern können? Wo war dein Problem? Wie von Kindes Beinen an, konntest du nicht über deine Probleme sprechen. Schon als kleines Kind warst du dann stumm. Wir nannten es tigschen. Ja, meine Prinzessin konnte gut tigschen, so lange bis sie dann doch ihren Willen bekam. Mich hat dieses stumme ignorieren immer sehr belastet. Es war so bedrückend, nicht zu wissen was dich gerade bewegte, wo dein Problem war. Irgendwann war die Tigsch-Zeit vorbei und du warst einfach wieder Jenny. 

 

In den letzten Jahren, gab es scheinbar auch niemanden, mit dem du wirklich über deine Probleme reden konntest oder wolltest. Dein Freund J.S. war ein Mann, der ein wenig mehr von dir erfahren durfte. Aber auch er war stets betroffen, wie rigoros du vermieden hast, über mich zu sprechen. Deine Gedanken wühlten in dir, doch niemand sollte sie erfahren. Hättest du über diese Gedanken gesprochen, vielleicht hättest du dann neue Erkenntnisse erfahren. Vielleicht, manches anders gesehen. So hast du all deinen Hass und Frust auf mich projektiert.

 

Du hast alle Türen zu mir verriegelt und verrammelt. Du konntest den Weg zu mir nicht mehr finden und es wäre so einfach gewesen. Ich habe mir immer gewünscht, dass du professionelle Hilfe annimmst. Schon lange war mir klar, das du auch psychisch beeinträchtigt bist. Doch ich hatte keinen Zugang zu dir und solche Ratschläge, von Freunden, hast du in den Wind geschlagen. Es tut so weh.  

 

Es tat mir so gut mit deinem Freund J.S. zu sprechen. Der einzige, der mir von dir erzählte. Der einzige Mensch, der meine Befürchtungen und meine Sichtweisen teilt. Ja, alles was ich ihm erzählte bestärkte seine eigenen Sichtweisen. Er ist der einzige, der offen und frei auf mich zugegangen ist, mir seine Hand anbot und uns geholfen hat. Ich freue mich, dass du so einen Menschen an deiner Seite hattest. Er hat gesehen, dass du Hilfe brauchst. Er wollte dir helfen, doch auch seine Hilfe hast du nicht angenommen.

Vielleicht war es schon zu spät dafür. Vielleicht hattest du deinen Weg in den Himmel schon begonnen. Es tut so weh.

 

Du warst noch so jung und doch war dein Leben für dich zu Ende. Ein Lebensbruch zu viel. Du hattest keine Kraft mehr, um von vorn anzufangen. Du hattest beschlossen zu gehen. Dein Leben zu löschen. So zu löschen wie du es mit all den Menschen getan hast, die mal an deiner Seite waren, du du mal liebtest und mit denen deine Träume nicht wahr werden konnten. Du hast die Löschtaste gedrückt. Es gab sie nicht mehr. Sie waren einfach nicht mehr da und nichts wies darauf hin, dass es sie in deinem Leben einmal gab.

 

So wie ich jetzt damit leben muss, das du gelöscht bist, als hätte es dich nicht gegeben. Doch man kann Menschen nicht löschen. Sie hinterlassen immer Spuren in deinem Leben, schöne oder unschöne. Aber die Spuren bleiben.

Deine Spuren trage ich im Herzen. Ich kann sie auf Fotos sehen. Ich kann sie fühlen, auch wenn es mir das Herz zerreißt. Ich schaue in den Himmel und bete. Ich bete dafür, dass du mich erhörst. Ich werde dich wieder sehen eines Tages. Bis dahin muss ich leben. Leben ohne dich. Leben obwohl du tot bist.

 

Jede Kerze die in dieser Weihnachtszeit brennt tut weh. Nein mir ist nicht nach Advents- und Weihnachtszeit. Alles sieht so vertraut und warm aus. Alle Menschen sind froher und freuen sich auf diese schöne Zeit im Jahr. Und ich? Ich sitze hier und schreibe. Ich male. Bunt und kunterbunt, damit meine grauen Tage etwas Buntes erhalten. Ich vermisse dich so sehr. Du bist tot und ich kann es immer noch nicht verstehen. Doch du bist tot. Für immer.

 

 

Du warst meine Prinzessin. Du warst mein absolutes Wunschkind und meine Liebe zu dir ist nicht mit dir gestorben. Sie lebt noch immer. Es tut so unheimlich weh, zu wissen, dass du all meine Worte, all meine Gedanken, nur im Himmel lesen kannst. Das es erst nach meinem Tod, ein Wiedersehen geben wird. 

 

In Liebe deine Mam

Kommentar schreiben

Kommentare: 0