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Einer dieser Tage. Einer dieser Kliniktage.

Einer dieser Tage

Am Morgen klingelt mich der Wecker aus dem Schlaf.

Endlich die Nacht vorbei.

Endlich die Traum-Suche beendet.

 

Bin auf der Suche und weiß nicht wonach.

Ich irre umher, in einem Meer von Türen.

Türen öffnen sich und gehen ins Leere.

Türen sind verschlossen, kein Schlüssel passt ins Schlüsselloch.

Endlose Gänge, endlos viele Türen.

Der Wecker beendet meine Endlos-Sucherei.

Mühsam starte ich in den Tag.
Auf meiner Schulter ein Rucksack.
Gefüllt von der Nacht, drückt er mich nieder.
Luft holen, Atmen.
Mein Kopf will noch nicht denken.
Alles gleicht einer Nebelbank über dem Meer.
Ich sehe nicht, ich höre und verstehe nicht.
Mühsam latsche ich ins Bad.
Mein Spiegel zeigt mir eine müde, sehr müde Frau.
Ist ok, sag ich ihr. Das wird schon.
Mach langsam, keiner treibt oder jagt dich.
Ich bin so unendlich müde vom endlosen kämpfen.

Langsam beginnt mein Tag.
Und schon sind sie da, die Fragen, das endlose Warum?
Bilder aus vergangenen Zeiten.
Schuldgefühle und diese unendliche Machtlosigkeit.
Es ist geschehen.
Es ist passiert.
Warum? Warum? Warum?
Nichts wird es ändern.
Nichts kann ich ändern.
Alle Sehnsucht ist umsonst.
Alle Worte finden keinen Ort.
All meine stillen Schreie verhallen im Nichts.

Ich möchte so gern weinen.
Weinen um mein Kind, weinen um mich.
Doch es bleibt mir nur der Schmerz.
Der grausame Schmerz, meiner ungeweinten Tränen.
Ich weiß, es gibt sie.
Tränen. Irgendwo in mir drin.
Sie waren schon einmal da.
Herrlich war's.
Doch nun kann ich nicht weinen.
Nicht weinen um mein Kind.
Nicht weinen um mich.
Ich trage die Last der ungeweinten Tränen.
Mein Rucksack ist überfüllt damit und drückt mich nieder.
Die Zeit vergeht.


Der Tag wird nur langsam besser.
Manchmal hilft nur, noch ein halbes Medi.
Ein halbes Medi, die Gedanken zu besänftigen.
Den Druck vom Rucksack zu halbieren.

Dazwischen malen. 

Das Gedankenchaos besänftigen. Immer wieder.

Malen, kunterbunt. 

Doch in mir drin ist alles grau in grau.


Ich kann atmen, hören, sehen und verstehen.
Doch alles ist so weit weg von mir.
Freude?
Was ist Freude?
Wieder am Anfang. Wieder von vorn.
Freude denken, wie damals.
Irgendwie.
Freude spüren ist so weit entfernt.
Noch unerreichbar.
Freude denken, als die Meise in der Vogeltränke badet.
Freude denken, als eine Nachricht von Micha kommt.
Freude denken, als Steve mir sagt, er mag mich.
Freude denken, Luisa, Marcus …
Ja, es sind so viele Menschen hier, die mir guttun.
Freude denken, für das Miteinander dankbar sein.

Da sind sie wieder, diese Bilder aus vergangenen Zeiten.
Nein, sie sind kaum zu verbannen.

Ich male. Schon wieder oder immer noch.
Warum, warum ist die Banane krumm?
Ich überlebe, lebe irgendwie.
Noch ohne Lust auf das Leben.
Noch ohne Gefühle.
Doch mit dem Kopf, der langsam beginnt zu widersprechen.
Langsam kehrt „ich will leben“ zurück.
Langsam. Eine Schnecke ist schneller.

Die Zeit vergeht und ich male.
Die Zeit vergeht und ich schreibe.
Ich kann das Warum besiegen.
Irgendwie.
Malen hält mich im Leben.
Schreiben ordnet die Gedanken.
Ich lebe.
Irgendwie.

Irgendwann kommt der Tag, an dem ich wieder leben will.
Ich habe es versprochen.
Ein Versprechen bricht man nicht.
Ich darf leben.
Ich darf trauern.
Ich darf lieben, lachen und leben.
Trauer ist weinen, lachen, lächeln, sich freuen, dankbar sein.

Leben. Ein Tag geht wieder zu Ende.
Morgen ist ein neuer Tag.
Die Zeit vergeht.  

 

 

Klinik Weißer Hirsch 21.06.2021

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